Baumeister, Dirigent, Teamplayer – Was nun?
Die Architektur befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Digitalisierung, Klimaziele und technologische Entwicklungen wie Building Information Modeling (BIM) und Künstliche Intelligenz (KI) verändern Planungs- und Bauprozesse grundlegend. Mario Mirbach, Architekt und Geschäftsführer der PURE GRUPPE Architektengesellschaft und PURE APPLIKATIONEN, sowie Landesvorsitzender des BDB Bayern, beleuchtete in seinem Vortrag auf der BIMWeeks 2024 an der Hochschule Augsburg, wie die Branche diesen Herausforderungen begegnen kann und welche neuen Wege die Architektur in Zukunft einschlagen wird.
Die Evolution der Planungsmethoden: Vom Reißbrett zu BIM
Der Wandel der Architekturmethoden begann nicht erst mit der Einführung digitaler Tools. Mirbach schilderte, wie sich die Planung von Gebäuden in den letzten 30 Jahren von der klassischen 2D-Planung auf dem Reißbrett hin zu komplexen digitalen 3D-Modellen entwickelt hat. Besonders die Einführung von BIM und Tools, wie dem von ihm und Markus Semmelmann mitentwickelten 3D-Wohngebäudekonfigurator, oder kommende weitere Lösungen unter Einbindung von KI, werden die Planungswelt nachhaltig verändern. Diese Technologien ermöglichen nicht nur präziseres Arbeiten, sondern auch eine weitgehende Automatisierung von Prozessen.
Doch trotz aller Fortschritte sieht Mirbach noch große Herausforderungen, insbesondere in der Praxis der weiterhin genutzten gedruckten Pläne auf der Baustelle, wodurch wertvolle digitale Informationen verloren gehen. “So lange gedruckte Pläne auf der Baustelle die Schnittstelle zur Realisierung darstellen, sind wir technologisch nicht entscheidend weiter als Balthasar Neumann seinerzeit!“, so Mirbach. Dies unterbricht den durchgängigen digitalen Planungsprozess und ist ein Hindernis auf dem Weg zur vollintegrierten digitalen Realisierungswelt.
Vom Baumeister zum Teamplayer: Die Transformation des Berufsbildes
Die Rolle des Architekten hat sich über die Jahrhunderte stark verändert. Ab dem Mittelalter war der Baumeister der zentrale Ansprechpartner des Auftraggebers – von der Planung bis zur Ausführung. Im „One-Face-to-the-Customer-Prinzip“ entstanden Projekte aus der Gesamthand.
Nach der Trennung von Entwurf und Ausführung in der Renaissance entwickelte sich im 20. Jahrhundert das Bild: Der Architekt wurde zum „Dirigenten“, der alle Fachplanenden und ausführenden Unternehmen koordinierte, um das Gesamtwerk zu einem Abschluss sprichwörtlich zu orchestrieren. In dieser Rolle stellten viele Akteure das Werk hinter wichtige Projektziele, wie Termin- und Kostentreue oder transparenter Kommunikation, was das Berufsfeld der Projektsteuernden notwendig machte.
Heute verstehen sich Architekt:innen in einer neuen Rolle: als Teamplayende. Moderne Bauprojekte sind so komplex geworden, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit und ein hohes Maß an koordinierter Kommunikation unerlässlich sind. Die Architekt:innen agieren nun als Teil eines Teams, das gemeinsam an der Umsetzung eines Projekts arbeitet.
BIM und Agiles Projektmanagement als Schlüssel zur Komplexitätsreduktion
Die zunehmende Komplexität moderner Bauprojekte erfordert neue Ansätze in der Planung. BIM bietet dabei die Möglichkeit, alle Projektinformationen in einem digitalen „Gebäudezwilling“ zu bündeln, auf den alle Beteiligten zugreifen können. Dies ermöglicht eine frühzeitige Abstimmung von Geometrien, Materialien und Bauprozessen.
Ein weiterer zentraler Ansatz ist das agile Projektmanagement, das es ermöglicht, Projektverläufe flexibel anzupassen und dabei stets die Auswirkungen auf Kosten, Qualität und Termine zu berücksichtigen. Die PURE GRUPPE hat hierfür das Tool „PURE Project Pilot“ entwickelt, das auf einer Ninox-Datenbank basiert und eine effiziente Planung und Koordination aller Projektbeteiligten ermöglicht.
Auch auf der Baustelle profitieren die Prozesse von lean und agilen Methoden. Insbesondere das Last-Planner-Prinzip, das eine frühzeitige Abstimmung zwischen Planung und Ausführung sicherstellt, ist dabei entscheidend. Mirbach empfiehlt Studierenden und Berufseinsteigern, sich in diesen Bereichen weiterzubilden, da sie Schlüsselkompetenzen für zukünftige Projekte darstellen.
Daten- und Wissensmanagement
Die Digitalisierung im Bauwesen bringt große Datenmengen mit sich, die nicht nur während der Bauphase, sondern auch im Betrieb und Rückbau von Gebäuden relevant bleiben. Online abrufbare, zentrale Datenbanken müssen sicherstellen, dass Informationen über Produkte, Materialien und Geometrien langfristig zugänglich und für zukünftige Planungen nutzbar sind. Dies ist ein zentraler Aspekt der Kreislaufwirtschaft, die im Bauwesen eine immer größere Rolle spielt.
Erfahrungen aus Projekten müssen systematisch erfasst und gespeichert werden, damit sie für künftige Bauvorhaben effizient genutzt werden können. Nur so kann das gesammelte Wissen auch in nachfolgenden Projekten gewinnbringend eingesetzt werden.
Parametrische Planung
Ein weiterer Schwerpunkt in Mirbachs Vortrag war die parametrische Planung, bei der Bauteile und Gebäude automatisch nach festgelegten Regeln modelliert werden. Dies beschleunigt nicht nur den Planungsprozess, sondern schafft auch mehr Flexibilität in der Gestaltung. Als Beispiel hob Mirbach den von ihm mitentwickelten Mr+Mrs Homes Gebäudekonfigurator hervor, der es ermöglicht, parametrisch entwickelte Wohngebäude individuell zu konfigurieren und gleichzeitig in Echtzeit die Kosten auf Bauteilebene im Blick zu haben.
Künstliche Intelligenz (KI) und Kreislaufwirtschaft
Die zunehmende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) war ein weiteres zentrales Thema. KI kann Architekten und Ingenieuren helfen, große Datenmengen zu analysieren und Rückschlüsse auf die Kosten und Umweltbilanzen eines Projekts zu ziehen. Dies ist besonders im Hinblick auf Nachhaltigkeitsziele von Bedeutung, da Planende in der Lage sein müssen, auf Knopfdruck verlässliche Informationen über die Ökobilanz ihrer Planungen zu erhalten.
Darüber hinaus kann KI Prozesse automatisieren und die Effizienz im Bauwesen steigern. Sie unterstützt die Einhaltung von Nachhaltigkeitszielen, indem sie Daten gezielt auswertet und so bessere Entscheidungen im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft ermöglicht.
Systematisierung und Automatisierung
Auch die Systematisierung und Automatisierung im Bauwesen bieten enorme Vorteile. Vorfertigung von Bauteilen hat sich in vielen Bereichen etabliert, doch der nächste Schritt besteht darin, diese Prozesse weiter zu individualisieren. Das Ziel ist es, auf die Nachfrage nach maßgeschneiderten Lösungen zu reagieren, während gleichzeitig die Effizienz der Massenproduktion erhalten bleibt.
Technologien wie Robotik und Augmented Reality (AR) spielen dabei eine zentrale Rolle. AR kann Baupläne in Echtzeit in die physische Umgebung projizieren, was die Arbeit auf der Baustelle erheblich erleichtert. Dies führt in Summe zur Vision einer papierlosen Baustelle, bei der alle Planungsdaten digital erfasst und direkt von Maschinen genutzt werden können.
Die Hürden der Digitalisierung
So vielversprechend die Möglichkeiten der Digitalisierung auch sind, es gibt nach wie vor erhebliche Hürden. Eine der größten Herausforderungen sieht Mirbach in den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen wie der VOB und der HOAI als auch dem Europäische Vergaberecht. Diese stehen nicht oder nur teilweise im Einklang mit diesen neuen Methoden und Prozessen. Bauprodukte müssen neutral ausgeschrieben werden, die Bauunternehmer werden erst nach der Werkplanung zur Ausschreibung bekannt. Die erarbeiteten Gebäudezwillinge werden meist nach der Vergabe neu aufgebaut und an die Bedürfnisse der Unternehmen angepasst.
Dies schließt in Summe aktuell das „Last-Planner-Prinzip“ sowie de facto eine durchgängige Bauproduktmodellierung inkl. Informationsmanagement vor der Vergabe aus.
Renaissance der Gesamthand: Der „Digitale Baumeister“
Die zunehmende Komplexität und die steigenden Anforderungen an Effizienz führen bereits seit wenigen Jahren zu einer Renaissance der Gesamthand. Mirbach sieht in diesem Modell, das an den klassischen Baumeister anknüpft, eine Lösung für die Herausforderungen der modernen Baupraxis. Der „Digitale Baumeister“ vereint alle Planungs- und Ausführungsaufgaben in einer Hand und nutzt digitale Werkzeuge, um Effizienz, Qualität und Transparenz sicherzustellen.
Es bleiben jedoch Fragen offen: Wer wacht über gesellschaftlich relevante baukulturelle Aspekte? Wer garantiert die Qualität zugunsten des Auftraggebers? Wie wird ein fairer Preiswettbewerb gewährleistet? Und wie wirkt sich dieser Wandel auf das Berufsbild der Architekten und Ingenieure aus? Hier müssen neue Lösungen gefunden werden, um die Rolle des „digitalen Baumeisters“ erfolgreich in die Praxis zu überführen.
Ein Blick auf verschiedene Bauaufgaben kann hier Klarheit schaffen. Auch künftig werden Aufgaben wie der Denkmalschutz, das regionale Bauen, kleinere und mittlere Bauaufgaben, das Bauen im Bestand oder die Innenarchitektur besser durch eine Trennung von Planung und Ausführung funktionieren. Diese Bereiche bieten weiterhin Raum für klassische freiberufliche Tätigkeiten mit Ausführung in Einzelgewerken, in denen der Fokus auf individuelle, maßgeschneiderte Lösungen liegt. Doch wenn es um großangelegte, industrielle Bauprojekte wie den Wohnungsbau, Büro- und Gewerbebauten, Bauen in Metropolen oder serielles Sanieren geht, sind neue Ansätze gefordert.
Der Architekt von morgen: Wo stehen wir?
Zum Abschluss stellte Mirbach den Zuhörern die Frage: „Wo sehe ich mich als Architekt?“ Dies ist eine zentrale Frage, die sich jeder in der Branche stellen muss, um sich in einem sich ständig wandelnden Berufsfeld zu orientieren. Im Spannungsfeld zwischen Freiberuflichkeit und Dienstleistungstätigkeit werden sich die Architekt:innen der Zukunft bewegen. Sie müssen neben gestalterischem und technischem Wissen ihre Werkzeuge perfekt beherrschen aber auch hohe Kommunikations- und Koordinationsfähigkeiten mitbringen. Dies wird in einer zunehmend vernetzten und digitalisierten Bauwelt von entscheidender Bedeutung sein.
Fazit: Architektur im Wandel
Der Vortrag von Mario Mirbach verdeutlicht, dass die Architektur vor großen Herausforderungen steht, aber auch immense Chancen bietet. Digitalisierung, BIM, KI und moderne Planungsmethoden schaffen neue Möglichkeiten, den Bauprozess effizienter, nachhaltiger und transparenter zu gestalten. Der „Digitale Baumeister“ könnte die Antwort auf viele der heutigen Herausforderungen sein, doch die Architekten und Ingenieure müssen diesen Wandel aktiv mitgestalten, um den Berufsstand zukunftsfähig zu halten.
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